Die Anreise

Auf der fidelen Dicken nach Spanien (2)

Rast an einem idyllischen Parplatz

Dieser Beitrag ist der zweite Teil einer längeren Reisebeschreibung.
Alle (bisher veröffentlichten) Teile sind hier zu finden:
1. Die Vorbereitung
2. Die Anreise

 

Rast an einem idyllischen Parkplatz

Geduld muss man haben. Oft ist das hilfreich. Wer hier auf diesen zweiten Beitrag der Reihe gewartet hat, weiß das. Wer auf einem alten Motorrad 1800 Kilometer weit durchs Land reist, weiß das auch. Kurz: die Autobahn zieht sich.

Monoton folgt weiße Linie auf weiße Linie, monoton Spurwechsel auf Spurwechsel, monoton brüllt der Lärm von Wind und Motoren, rüttelt die Windschleppe von Lastern oder schnellen Autos an Fahrer und Rad und Gepäck.

Begonnen hat die Fahrt indes mit einer anderen Monotonie, der immer wiederkehrenden Tücke der einohrigen Navigation.
Im Cockpit der Dicken ist nicht wirklich Platz für eine Halterung eines Navigationsdisplays, zumal es trocken bleiben und über den riesigen Tankrucksack hinweg im Blickfeld des Fahrers liegen sollte ohne dabei andere Instrumente zu verdecken.
Nach einigen Versuchen im Vorfeld habe ich mich für eine Navigationshilfe durch Smartphone und Knopf-im-Ohr entschieden. Dabei liegt das Telefon oben im Tankrucksack, der Kopfhöhrer steckt im rechten Ohr und ist über Bluetooth mit dem Mobilgerät verbunden.
Leider hat auch diese Variante ihre Schwächen und entwickelte während der Fahrt auch strebsam immer neue.
Gleich auf dem Weg zu Autobahn stellte ich fest, dass ich die Standortfreigabe für meine Frau nicht aktiviert hatte. Also bin ich bei nächster Gelegenheit stehen geblieben, Handschuhe aus, Telefon raus, Standortfreigabe aktiviert, Handy wieder in den Tankrucksack, Handschuhe an, weiter. Leider habe ich bei der Aktion versehentlich die Navigation beendet, also bei nächster Gelegenheit stehengeblieben, Handschuhe aus, Handy raus, Navigation starten. Leider ließ sich die Navigation nicht starten, weil der Mobilfunkempfang am Standort zu schlecht war. Also Handy in den Tankrucksack, Handschuhe an, weiter bis zu einem Ort mit besserem Empfang, dort stehenbleiben, Handschuhe aus, Handy raus, Navigation starten, sicherheitshalber nochmal prüfen, ob die Standortfreigabe aktiv ist, nochmal prüfen, ob die Navigation noch an ist, Handy in den Tankrucksack, Handschuhe an und schwupp, schon war ich auf der Autobahn.

Die erste von drei Etappen führte mich in Deutschland vorbei am Frankfurter Flughafen bis Saarbrücken. Gefühlt alle paarhundert Meter ein Wechsel der Autobahn und Baustellen, dass es weh tut.
Im letzten Abschnitt vor der Saatsgrenze dann rund 50 Kilometer lang mit der Fräse längsgerillte Fahrbahn samt Rollsplitt und keine Fahrbahnmarkierungen mehr. Offenbar ist das Fehlen von Fahrbahnmarkierungen für viele Autofahrer auf dem Abschnitt gleichbedeutend damit, dass es keine Fahrstreifen mehr gibt, infolge davon insbesondere keinen Pannenstreifen und auch sonst quasi keine Regeln mehr. Trotz Beschränkung auf 50 km/h wurde ich überholt wie nicht gescheit, mit 100, teils 150 Sachen, sowohl links, als auch auf dem Pannenstreifen. So durfte ich die letzte Stunde durch Deutschland mit 50 über die Rillen kippeln, umtost von Lärm und Fahrtwindschleppen und teils dicht prasselnden Wolken aufgewirbelten Rollsplitts.

Vergleichsweise erholsam der Rest von Etappe eins über französische Straßen: deutlich weniger Verkehr, kaum Raserei und gefühlt keine einzige Baustelle.
So kommt man vergnügten Sinns über Metz, Verdun und Chalons-en-Champagne nach Arcis-sur-Aube, einem freundlichen kleinen Städtchen mit Herbstlaub an den Bäumen und gutgelaunten Gesichtern auf den Straßen.

Auf einer Insel in der Aube liegt ein gemütlicher Campingplatz, wo mich zum ersten Mal auf meiner Reise unvermittelt die wattige Unwirklichkewit der Stille umfing. Taglang umtost vom Lärm der Straße schien ich nun in einen Kokon gepackt, der mir einen Sinn entwendet hat.
Gepäck durchgezählt und nix verloren, Behausung aufgebaut, frugales Mahl gekocht und das Beste: Keine Mücke weit und breit.

Eine herrliche Nacht habe ich auf der Insel verschlummert, die einzige auf meiner langen Reise, bei der die Temperaturen unter 10 Grad gefallen sind und ich zusätzlich zum Sommerschlafsack noch die Wolldecke herbei ziehen musste.

Anderntags durfte ich dann das hervorragende Baguette aus dem Holzbackofen verspeisen, das ein örtlicher Bäcker anbietet. Wer mal in der Nähe ist: unbedingt testen!
Auch sonst sieht Arcis nach einem netten Städtchen aus, mit romanischem Gotteshaus und einer Statue Dantons, ursprünglich ein Kind der Stadt, dessen Bronzefaksimile indes bereits auf den Place de la Révolution in Paris deutet, wo er später noch eine unangenehme Verabredung mit Charles Sanson haben würde.

Arcis im Morgenlicht
Steinerei
Danton, aus Arcis-sur-Aube gebürtig, hier als Standbild, an einem Stuhle sich haltend
Holzbäckerei
Baguette aus dem Holzofen
Campingplatz im Herbst

Bis nun das Geschirr gespült war und das Gepäck verzurrt, ich selbst in einigermaßen aufrechter Position, das Navigationsgerät lief und die Handschuhe an den Händen waren, bis ich dann noch eine freundliche Tankstelle fand, die am Sonntag geöffnet hatte, war es elf Uhr und die Sonne stand hoch am Firmenzelt, dass es eine Art hatte im September.

Und wieder muss ich französische Autobahnen loben War es auf der ersten Etappe schon eine Wohltat, auf die französischen Autoroute zu wechseln, dann auf der zweiten Strecke über Troyes und Orleans nach Pons war das Fahren noch deutlich leckerer, dieweil Sonntag war und nix los auf der Straße. So ist wohliges Vorankommen, zumindest wenn man sich alle 150, 200 Kilometer die Füße vertritt und die alten Gelenke biegsam macht.

Auf der Fahrt nach Pons in Neu-Aquitanien wurde es dann auch immer wärmer und abends am Zeltplatz angekommen hatte es dann 32 Grad – kein Spaß in der Motorradkleidung.

32 Grad abends um sieben.

Übernachtet habe ich in Pons auf dem Zeltplatz der Gemeinde. Der ist ruhig zwischen dem Flüsschen Soute und einem seiner Nebenarme gelegen und war mit 9,52 € für mich, mein Zelt und meine Maschine der günstigste Platz auf meiner ganzen Reise.

Gute Gesellschaft an der Soute
Unter Pappeln

In Pons und auf dem Platz war ich mit meiner Familie schon öfters, immer auf der Durchreise. Abends wirkte der Teil der Kleinstadt, den wir durchwandert haben immer irgendwie ausgestorben. Zwar gibt es nahe dem Platz eine größere Schule, aus der man im Vorbeigehen ansonsten aber unsichtbare Schüler hörte, auf den Straßen jedoch war kaum jemand zu sehen.
Der ganze Ort scheint aus dem gleichen beige-grauen Sandstein gebaut zu sein, die Gebäude, die Kantsteine, selbst die Gehwege und die Straßen der Altsdtadt.

Noch eine Kirche, diesmal in Pons

 

Gassenwinkel in Pons

Früher gab es nicht weit vom Campingplatz eine Pizzeria, die hervorragende selbstgemachte Pizzas verkauft hat. Leider wurde sie von einer Kette übernommen und mit Plastikpflanzen begrünt. Das Essen, wie ich finde, nicht mehr empfehlenswert. Schade.

Pizza mit Muscheln

 

Wasser und Wein

 

Nun wachte ich also an einem strahlenden Montagmorgen auf und zwischen mir und meinem ersten Ziel in Spanien lagen nur noch 600 Kilometer. Also frohgemut noch einmal auf den Bock und über Bordeaux, San Sebastián und Santander nach Playa de Vidiago auf den Campingplatz La Paz.
Der letzte Abschnitt in Frankreich ist weitgehend neu und häufig dreispurig. Im spanischen Baskenland wird es dann vorübergehend noch einmal unangenehm. Viele zu enge Kurven, viel Steigung und Gefälle, viele Abzweigungen und Zusammenführungen und allenthalben seltsam aufgerauter Straßenbelag, was einem auf dem Zweirad das ungute Gefühl ständiger Rutsch- und Kippbewegungen gibt.

Das Wetter aber wurde wieder etwas kühler, was sehr angenehm war.

Es zieht zu in Cantabrien

 

Und schließlich:

Campingplatz La Paz

Ein kleines Fazit aus der Anreise:

Von meiner Haustüre zum Campingplatz La Paz waren es insgesamt 1.892 km, 1.700 km davon Autobahn. Ich habe die Reise gemütlich angehen lassen, bin nie schneller als 120 km/h gefahren.

Dennoch erfordert das Fahren auf dem Motorrad deutlich mehr Aufmerksamkeit, als mit dem Auto. Kleines Beispiel: Fährt man von Bordeaux aus auf der A 63 durch die Gascogne, beginnt ziemlich bald eine Landschaft, die wir gerne scherzhaft das Kiefernwäldchen nennen. Es handelt sich dabei um eine Anpflanzung zur Holzgewinnung in Reihen und Gliedern, die im Grunde bis kurz vor Bayonne reicht. Ein fast völlig ebener Landesteil, der, zumindest entlang der Autobahn und soweit das Auge von dort aus reicht, nur mit Kiefern bewachsen ist, die alle in strengen Reihen stehen.
Die einigen Male, die ich und wir diese Strecke mit dem Auto durchfahren haben, kam sie uns mangels wirklicher Landschaft so extrem eintönig und langweilig vor, dass das Kiefernwäldchen zur stehenden Redewendung und gewissermaßen ikonografisch für extreme Monotonie wurde. Ein Meme für extreme Langweiligkeit.
Diesmal aber, mit dem Motorrad, ist mir – längst in Spanien – aufgefallen, dass es mir überhaupt nicht aufgefallen ist. Ich konnte mich an keine einzige Kiefer erinnern.

Insgesamt merke ich auch, dass ich älter geworden bin. Einerseits schmerzte auf der Reise nach spätestens 150 Kilometern das Gesäß und trotz Minigymnastik während der Fahrt wurden meine Muskeln bis zur Pause mehr und mehr unbewegliche Klumpen. Andererseits bin ich aufmerksamer geworden, gebe im Zweifelsfall der Gelassenheit den Vorzug vor dem Mut und kann mich besser motivieren.

Insgesamt habe ich auf der Strecke der ersten drei Tage keine gefährlichen Situationen bewusst erlebt. Es war an manchen Stellen unangenehm, zum Beispiel in den Rollsplittwolken oder auf dem komischen Straßenbelag im Baskenland. Aber richtig gefährliche Verkehrssituationen habe ich nicht erlebt.

Und jetzt saß ich über dem Atlantik in der Zeltplatzkneipe und alles, alles, alles war gut und konnte beginnen.

Kleines Abendessen in der Zeltplatzkeneipe

 

Und alles, alles war gut.

 

 

Rubrik aktuelles Reisebuch: Zsuzsa Bánk, Der Schwimmer.

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