Was ist Spanien (im Netz)?

this is not spain
THIS IS NOT SPAIN
Jakobsweg, Kilometer 0
Jakobsweg, Kilometer 0

Durch halb Europa verlaufen Teilabschnitte des Jakobsweges, der bereits seit dem frühen elften Jahrhundert Pilger in das galicische Santgiago de Compostela führt. So wird die iberische Halbinsel schon früh von halbwegs friedlichen Menschen mit ein bisschen Geld im Beutel besucht, die ihr persönliches Heil suchen (oder das ihres Auftraggebers), um danach wieder in ihre Heimat zurückzugehen – kurz: Touristen.
Daran hat sich nichts Wesentliches geändert. Die meisten Menschen aus dem deutschsprachigen Raum kennen Spanien als vielbereistes Urlaubsziel. Anziehend für Touristen wirken heute vor allem die Strände des Mittelmeers und die modernen Städte, die mit ihrer mediterranen Kultur und Lebensart, in zunehmendem Maße auch die grünen Küsten des Kantabrischen Meeres und die alpinen Berglandschaften von Pyrenäen und Picos de Europa.

Dabei verstehen wir unter Spanien gemeinhin ein Land, das den weitaus größten Teil der iberischen Halbinsel einnimmt. Zum Staatsgebiet gehören weiterhin die Balearischen Inseln im Mittelmeer, die Kanaren im Atlantik Marokko vorgelagert, mit Ceuta und Melilla zwei Städte an der afrikanischen Nordküste und noch einige kleine Felsen, Inseln und Halbinseln im Mittelmeer.

Ob man nun allerdings den Blick schärft und auf die Details richtet, oder aber lockert und das große Ganze betrachtet – die Idee eines homogenen Spaniens lässt sich so oder so nicht halten.

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THIS IS NOT SPAIN

Denn: bei genauerem Hinsehen zerfällt das Land in Bereiche, die sich teilweise erheblich an ihrem Spanischsein oder Nicht-Spanischsein abarbeiten. Allgemeine Aufmerksamkeit haben dabei schon lange das Baskenland, wo jahrzehntelang die Terroristen der ETA mit Waffengewalt und ihr politischer Arm (Herri) Batasuna1) in den Gremien nach der Unabhängigkeit strebten und Katalonien erhalten, wo gerade juristisch die Kleinrevolte der Regionalpolitiker und Carles Puigdemont um ein eigenständiges Katalonen aufgearbeitet wird. Aber auch etwa in Navarra gibt es ein starkes Streben nach Autonomie.

Ein anderes Beispiel von fragilem Spanischsein ist etwa die Petersilieninsel. Sie gehört zwar offiziell zu Spanien, ihr Status ist jedoch juristisch nicht ganz klar, was dazu führt, dass Marokko ebenfalls immer wieder Ansprüche auf das kleine unbewohnte Eiland erhebt. Immerhin kam es im Zuge dessen 2002 zu einem militärischen Geplänkel zwischen den beiden Staaten, das als Petersilienkrieg in die Geschichte einging. Insbesondere im Hinblick auf Ceuta und Melilla

Gleichzeitig gibt es Teile Spaniens, die auf gewisse Weise gar spanischer sind, als andere.
Die Höhle von Covadonga und das Gebiet drumherum fallen mir zum Beispiel ein. Von dort aus startete, erzählt man sich, die Reconquista, die Rückeroberung Spaniens von den Mauren – für viele die Geburtsstunde des heutigen Spaniens. Entsprechend wird der Ort gefeiert, mit Marienfigur in der Grotte, Basilika und stündlichen Gottesdiensten. Und dere größten Dichte an Souvenirgeschäften und -buden jenseits des Knallertourismus in Teilen Mallorcas.
Oder die bereits erwähnten Exklaven Ceuta und Melilla. Geschützt von sechs Meter hohen Zäunen, Stacheldraht, Wachtposten und ähnlichem sind sie für viele Flüchtende Brückenpfeiler nach Europa, leuchtende spanische Flecken im arfikanischen Marokko. Mit gewaltigen Anstrengungen und unter großen Gefahren gelangen immer wieder Menschen über die Grenzanlagen und können so auf spanischem Grund einen Antrag aus Asyl stellen.

So bietet der spanische Staat ein recht uneinheitliches Bild, wenn man nur ein bisschen genauer hinsieht.

Nimmt man dagegen eine etwas entferntere Position ein und schaut über die Grenzen hinaus, so ergibt sich ein vergleichbares Bild, was das Spanische betrifft.
Allein die Sprache: Mit rund 400 Millionen Menschen, die Spanisch sprechen, ist sie die größte romanische Sprache. Von den 400 Millionen leben nur etwa 47 Millionen in Spanien, der große Rest, 85%, vornehmlich in den amerikanischen Überseegebieten. Spanisch ist in 21 Ländern offizielle Amtssprache2), darüber hinaus in New Mexico und Puerto Rico. All diesen Ländern hat Spanien nicht nur seine Sprache mitgegeben (aufgezwungen wohl zumeist), sondern auch Lebensweise, Kultur, Gesetze, Weltsicht, spanische Vergangenheit.
Noch heute gibt es sehr enge Verflechtungen zwischen den dereinst eroberten oder unterworfenen Gebieten in den Amerikas und dem europäischern Stammland Spanien. Durch Aus-, Ein- und Wiedereinwanderung sind viele Familien sowohl in Spanien, als auch in einem oder mehreren von den lateinamerikanischen Ländern zu Hause. So versteht sich ein intensiver kultureller Austausch.

Ein weiterer Blick sei erlaubt, diesmal in die Entstehungsgeschichte Spaniens. Das Gebiet des heutigen Landes wurde über 800 Jahre lang von verschiedenen Dynastien von Artabern und Berbern regiert. In dieser Zeit lebten Mohammedaner, Juden und Christen zusammen in den Städten und Dörfern. Die Iberische Halbinsel erlebte eine Blütezeit: die Araber brachten Wissensschätze aus dem Orient mit nach Europa, die nun in den berühmten Übersetzerschulen von Toledo ins Lateinische und Hebräische, zunehmend jedoch auch ins Spanische. Spanisch wurde Wissenschaftssprache, erhielt bereits 1492 eine eigene Grammatik (Gramática de la lengua castellana von Antonio de Nebrija), deutlich früher, als andere romanische Sprachen. Die Wissenschaft und Philosophie der griechischen Antike wurden nun für breitere Schichten zugänglich. Das goldene Zeitalter Spaniens begann und brachte einen Höhenflug von Kunst und Kultur nach Europa.
So entstand Spanien aus der Mischung von Kulturen, die nach den Westgoten das Gebiet zwischen Pyrenäen und Costa de la luz bevölkerten: Mauren, sephardische Juden, Christen.
Wo Äste und Zweige bis Chile und Argentinien wachsen, reichen die Wurzeln bis auf die arabische Halbinsel, Syrien, Nordafrika.

 

Das, grob umrissen, ist es, woran ich bei Spanien denke und worauf ich mich beziehe, wenn hier von Spanien die Rede ist.
Und dieses Spanien soll in seinen vielen Facetten Thema auf den Seiten von Spanien-im-Netz sein: Reise, Geschichte, Kunst, Literatur, Politik, Landschaft, Gastronomie, Wirtschaft, Wetter, Legenden, Wissenschaft, Gesellschaft, Bildung, Aktuelles und Uraltes.
Alles das angeordnet irgendwo zwischen Journalismus und Literatur, zwischen Bericht und Erzählung, Essay und Glosse, Kommentar und Kurzmitteilung. Insgesamt eine Art Loseblattsammlung für mich und vielleicht für den einen oder die andere, die sich dafür interessieren mögen.

Sonnenaufgang bei Tarragona
Sonnenaufgang bei Tarragona

 

  1. baskisch für Einigkeit (Baskische Union)
  2. Äquatorialguinea, Argentinien, Bolivien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Spanien, Uruguay, Venezuela, Westsahara

 

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