Eurich reist nach Tarragona

Vier Tage regnete es ununterbrochen.
Es regnete auf den Höhenwegen der Pyrenäen und von dort aus hinab bis halben Wegs ans Mittelmeer.
Die Pfade verwandelten sich zusehends in Morast, dass Mann und Ross bei jedem Schritt versanken und keines rechten Fortkommens war.
Der Quartiermeister änderte jeden Tag Route und Etappenziel, die Lager wurden immer provisorischer und seit zwei Tagen hatte keiner mehr etwas Trockenes dabei. Kälte kroch in die Männer.
Der Regen plitschte im Matsch und trommelte auf Decken und Mäntel, auf Helm und Hut, unablässig, eintönig, betäubend. Das eroberte Land lag hinter Schlieren und Schraffur und unter dem beständigen Trommeln des Regens.

Dann mit einem Mal hörte es auf. In Osona lag die Landschaft unter zwar grauem Himmel unvermittelt klar und kalt um Reiter und Gefolge.
Eurich hielt sein Pferd an.
Rufe ertönten und langsam blieb der ganze Tross stehen, dabei nach vorne hin verjüngt und hinter dem König ein wenig geronnen, eine nachlässig in leichter Kurve hingeworfene Kette.
Als der Zug stand, wurde er von einer Stille umschlossen, die alles unwirklich erscheinen ließ. Kein Vogel sang, nichts rührte sich.
Von Vorhut und Kurierreitern verängstigt verschwanden Männer und Frauen in ihren ärmlichen Hütten, wenn sie die Pferde hörten. Die Dörfer lagen leer, das Land verlassen.

Nach einer Anhöhe hin Schafe, nass, mit hängenden Köpfen, als würde es noch regnen.

Stille.

Dem König war kalt. Er spürte seine Füße nicht mehr, seine Hoden waren taub vom langen Reiten, die Hände geschwollen. Der Kragen hatte Hals und Nacken wund gescheuert.

Der Regen hatte die Gerüche aus der Luft gewaschen. Jetzt wo der Zug stand, stieg der Dampf von den Pferden auf und nasser Wolle, Leder, Schweiß.
Eurich atmete, suchte mit der Nase nach Blut und Stahl, Angst, Tod, aber es war nur Nässe. Klare, kalte Nässe. Der Krieg war nicht mehr zu riechen. Und nirgendwo ein Rauchschlot im Blickkreis. Die Luft stand still.

Er stieg ab. Sank ein, stapfte zwei Schritte, drei, suchte Gleichgewicht. Der Tross schwieg, stand im weiten Kreisbogen um ihn herum, alle Blicke auf den König.
Ein Ross vorne äpfelte, tanzte kurz um seinen Schwerpunkt. Der Reiter glich die Bewegung aus, sein Kopf blieb an derselben Stelle.
Der König schlug den Rock zur Seite und schälte seinen strahlend weißen Penis aus dem Beinkleid. In flachem Strahl zerzischundprasselte sein Urin die Stille. Eine Feldlerche gerade voraus flog auf und trillerte hoch hinauf. Da kam Bewegung in den Trupp. Die Männer kletterten von ihren Pferden und fingen an, sich zu erleichtern. Männer mit entblößten Gliedern, Männer in der Hocke, Gesichter, die sich entspannten.

Zwei, drei Minuten blieben sie an diesem Ort. Leise Wortwechsel, jemand lachte hinten im Zug. Alle wollten weiter. In den Knochen und Gelenken, in Haut und Blick breitete sich leise, freundliche Zuversicht aus, fast unmerkliche Beschwingtheit, Wärme. Sie waren auf dem Weg durch ein erobertes und befriedetes Land und wärmten sich im Glanz des Herrschers über das größte Reich in Europa.

Schmatzend und scherzend setzten sie sich in Bewegung. Der König war guter Dinge.
Wo eben noch hundert Reiter und Fußvolk rasteten blieb eine leichte Linkskurve aufgewühlt im Matsch, die dampfte und roch.

Der größte Teil der spanischen Halbinsel war Teil des westgotischen Reichs geworden.

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